Ein Versuch, mir meine Trauer, Resignation und Wut von der Seele zu schreiben, um nicht daran zu zerbrechen

Donnerstag, 23. Mai 2019

02-2019: Wissenschaft, Gesellschaft und Wertung (mit neuem Zusatz vom 9. Mai 2019)


In meiner Schul- und Studentenzeit waren mir Bewertungen ein Gräuel. Ich hasste es, bewertet zu werden, vielleicht auch aus der Sorge, man könnte eher aufgrund von Aussehen, Herkunft und Eltern taxiert werden. Hinzu kam, dass der Leistungsgedanken vor dem Hintergrund der dann verglimmenden Studentenbewegung in den 1970er und 1980er Jahre nicht gerade en vogue war. Ich erinnere mich noch gut der Sitzstreiks, die Studentengruppen gegen sprachliche Einstufungstests anstifteten, weil sie der Ansicht waren, dass diese nur zu weiteren Ungerechtigkeiten führen würden.
Heute bin ich ganz anderer Meinung, nicht zuletzt deshalb, weil Leistung die einzige Kategorie ist, die Menschen im Wettbewerb noch eine reale Chance gibt. Sie bietet dem Einzelnen die Möglichkeit, seine Kompetenz unter Beweis zu stellen, im Vergleich mit jenen, die dies auf gleicher Ebene tun. Konkurrenz kann für alle Mitbewerber zerstörerisch sein, aber Nepotismus ist es in noch umfassenderen Sinn, da er als aristokratisches Prinzip vornehmlich auf große Namen setzt, und dies meist indem er von deren Leistungen absieht. Am besten ist ein fairer Wettbewerb, der eben zunächst die Leistungen der Bewerber bewertet, um dann Geschlecht, Augen- oder Haarfarbe in Betracht zu ziehen.
Damit kommen wir zu einem entscheidenden Punkt des Leistungsprinzips. Menschen vergleichen unausgesetzt, auch wenn sie sich selbst vielleicht Vergleichen nicht immer stellen mögen. Sie fragen sich z. B. bei der jetzigen Missbrauchsdebatte in der katholischen Kirche, warum ein Priester, der sich an einem Kind vergeht, besser gestellt sein soll als ein Arzt an einem katholischen Krankenhaus, der seine Arbeit verliert, weil er gegen das Sakrament der Ehe verstösst und ein zweites Mal heiratet. Vergleiche sind auch die Grundlage des Leistungsprinzips, da hier ungeachtet der Person und ihrem Ansehen entsprechende Parameter in Beziehung gesetzt werden.










In meiner Schul- und Studentenzeit waren mir Bewertungen ein Gräuel. Ich hasste es, bewertet zu werden, vielleicht auch aus der Sorge, man könnte eher aufgrund von Aussehen, Herkunft und Eltern taxiert werden. Hinzu kam, dass der Leistungsgedanken vor dem Hintergrund der dann verglimmenden Studentenbewegung in den 1970er und 1980er Jahre nicht gerade en vogue war. Ich erinnere mich noch gut der Sitzstreiks, die Studentengruppen gegen sprachliche Einstufungstests anstifteten, weil sie der Ansicht waren, dass diese nur zu weiteren Ungerechtigkeiten führen würden.
Heute bin ich ganz anderer Meinung, nicht zuletzt deshalb, weil Leistung die einzige Kategorie ist, die Menschen im Wettbewerb noch eine reale Chance gibt. Sie bietet dem Einzelnen die Möglichkeit, seine Kompetenz unter Beweis zu stellen, im Vergleich mit jenen, die dies auf gleicher Ebene tun. Konkurrenz kann für alle Mitbewerber zerstörerisch sein, aber Nepotismus ist es in noch umfassenderen Sinn, da er als aristokratisches Prinzip vornehmlich auf große Namen setzt, und dies meist indem er von deren Leistungen absieht. Am besten ist ein fairer Wettbewerb, der eben zunächst die Leistungen der Bewerber bewertet, um dann Geschlecht, Augen- oder Haarfarbe in Betracht zu ziehen.
Damit kommen wir zu einem entscheidenden Punkt des Leistungsprinzips. Menschen vergleichen unausgesetzt, auch wenn sie sich selbst vielleicht Vergleichen nicht immer stellen mögen. Sie fragen sich z. B. bei der jetzigen Missbrauchsdebatte in der katholischen Kirche, warum ein Priester, der sich an einem Kind vergeht, besser gestellt sein soll als ein Arzt an einem katholischen Krankenhaus, der seine Arbeit verliert, weil er gegen das Sakrament der Ehe verstösst und ein zweites Mal heiratet. Vergleiche sind auch die Grundlage des Leistungsprinzips, da hier ungeachtet der Person und ihrem Ansehen entsprechende Parameter in Beziehung gesetzt werden.
Die gegenwärtige Krise unserer westlichen Gesellschaften liegt aus meiner Sicht in der Gestaltung des Leistungsprinzips. Sie umfasst alle Bereiche des öffentlichen Lebens, die Bildungseinrichtungen, die Kirchen und die Politik. Denn inzwischen fällt dem Leistungsprinzip jene Rolle zu, die im vorrevolutionären Frankreich dem cartesianischen Cogito als Sprengsatz der ständische Gesellschaft mit ihren Privilegien zugekommen war. Angesichts wachsender Dysfunktionen in Politik und Wirtschaft, der Rolle des TÜV’s bei der Abnahme des Unglücksstaudamms in Brasilien, des Flughafens in Berlin fragen sich immer mehr Menschen in anstrengenden, aber unterbezahlten Positionen, warum die Herrschaften in der bel étage aus ihrer Sicht für ihre an sich untalentierte Arbeit, ihre Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit so gut honoriert werden. Ähnliche Vorwürfe richten sich gegen Politiker aller Kolör, zumal mit dem Hinweis, dass diese für ihre möglichen Fehlentscheidungen auch haftbar gemacht werden sollten.
Machen wir einen kleinen Exkurs in die Geschichte der Philosophie. Warum entstand diese nicht in den grossen archaischen Reichen, sondern gerade in den griechischen Stadtstaaten? Die Antwort auf diese Frage geben Gilles Deleuze und Félix Guattari. In Persien sind es die gottähnlichen Monarchen, die über Recht und Unrecht entscheiden, die Urteile sprechen. Unterliegen diese hier keinerlei Befragung gegensätzlicher oder abweichender Standpunkte, so sind sie in der griechischen Polis Gegenstand von Debatten. Aus dieser Notwendigkeit, Werturteile zu begründen und zu erklären entsteht die Philosophie der Antike. Es bedarf einer grundsätzlichen Wertorientierung, auf deren Grundlage auch im praktischen Leben gehandelt werden kann.
Gerade unsere demokratische Gesellschaft lebt vom Aushandeln von Werturteilen, zumal dann, wenn sie auf dem Pluralismus von Meinungen und Perspektiven beruht. Denn wie anders sollte über die Legitimität von Anliegen befunden werden, wenn nicht durch meinungsbildende Prozesse? Doch können diese nicht auf angemessene Weise stattfinden, wenn ihnen der zugrunde liegende Kompass abhanden gekommen ist.
Meine Erfahrungen beziehen sich natürlich zunächst auf den Bereich der Hochschulen, wo Berufungsentscheidungen in den letzten Jahren immer häufiger in Zweifel gezogen werden. Aber so ließe sich fragen, wie ist es um die Wissenschaften, besonders die Geisteswissenschaften bestellt, wenn Kommissionen sich nicht auf einen Wertekanon oder objektivierbare Kriterien stützen, um geeignete Kandidaten für Professuren zu finden, wenn sie eher sekundären Ausschlusskriterien folgen, wenn sie darauf verzichten, unabhängige Positionen gegenüber Netzwerken Respekt zu zollen. Kann eine Wissenschaft, die letztlich auf derart schütteren Grundlagen beruht, selbst überhaupt noch Werturteile aussprechen? Hat sie sich nicht schon längst im Ränkespiel der Wissenschaftler selbst aufgegeben? Gilt Ähnliches nicht auch für die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die die Fülle der Anträge mit ihrem Budget abstimmen muss und dabei auch außerwissenschaftliche Interessenlagen, wie das Alter des Antragstellers, die Rolle seines Arbeitsbereichs zu berücksichtigen hat. Ich selbst wollte zu einem afrikanischen Thema arbeiten und musste bei der Durchsicht bisher bewilligter Projekte feststellen, dass Afrika seinerzeit (2015) so gut wie keine Rolle bei der DFG spielte. Wer aber, mit welcher Autorität, urteilt hier über die Legitimität von Projekten? Natürlich derjenige, der die seinigen durchzusetzen sucht. Hier verhandelt also Partei gegen Partei. Hier geht es einzig und allein von Einflusssphären, die Personen, aber auch Fächer betreffen. Wie ich den entsprechenden Gutachten entnehmen konnte, mangelt es gerade hier an einer orientierenden Grundlage, die eigentlich jeder Beurteilung vorausgehen müsste, zumal man/frau/es dem Antragsteller zugesteht, dass er die intellektuelle Eignung habe, sein an sich wichtiges Projekt erfolgreich zu Ende zu führen. Stattdessen ergehen sich die Formulierungen in kleingeistigen Hinweisen auf das Fehlen dieses oder jenes Titels, auf mein Alter, auf die aus ihrer Sicht zuweilen antragsfremde Diktion, auf meine an sich reichhaltige Publikationsliste…“Von daher“, wie heutzutage jede Begründung in der Alltagssprache eingeleitet wird, ist auch nicht mit einer wirklichen Würdigung eines derartigen Projekts zu rechnen, wenn es nicht in die Befindlichkeiten und Interessenlage von Gutachtern hineinpasst. Aus diesem Grund müssen diese auch ebenso anonym sein wie deren verlautbarte Sprache, die sich kaum mit dem Anliegen eines solchen Projekts auseinandersetzt und in Allgemeinplätzen zu verharren pflegt.
Aber ich will nicht reduktiv auf diese Erfahrungen aus einem Bereich setzen, der für die meisten Bürger dieses Landes ohnehin keine oder zumindest keine sonderlich große Rolle spielt. Denn ob es sich um die Diäten der Abgeordneten handelt, um die überdimensionierte Altersversorgung von Dax-Vorständen, überall stellen sich Menschen die Frage nach der Legitimität derartiger Bezüge. Und natürlich auch die Frage der tüchtigen Habenichtse, warum ihre Arbeit nicht auch entsprechende Anerkennung findet.
Die Wertschätzung von Tätigkeiten und Kompetenzen, kurzum von Leistungen ist die Grundlage der bürgerlich-liberalen Gesellschaft. Diese hatte vor mehr als zweihundert Jahren mit dem Versprechen begonnen, dass sich der Bürger einen Namen machen muss, den er im Gegensatz zum Aristokraten nicht hat. Geräten diese Fundamente ins Wanken, erleben die Rattenfänger mit ihren falschen Verheißungen Hochkonjunktur.
Blicken wir uns um. Ob in den USA, in Brasilien oder auf den Philippinen – überall ist die liberale Ordnung erschüttert. Es ist nur eine Frage der Zeit, wenn diese Erschütterungen auch uns in Deutschland treffen werden. Europa ist keine Euroase mehr. In Italien sind die liberalen Parteien am Ende. Und in unserem geliebten Nachbarland Frankreich toben bürgerkriegsähnliche Unruhen gegen einen Präsidenten, der bei der Einweihung eines neuen Bahnhofs von einem Ort spricht, in dem erfolgreiche Menschen auf jene treffen, die nichts sind (Originalzitat: „Dans une gare, on croise des gens qui réussissent et des gens qui ne sont rien“). Was für eine eitle Maskerade der Bevorrechteten, die genau wissen, wen sie zu den Bevorrechteten zu zählen haben, zumal sie selbst die Mechanismen der Bevorrechtung aus eigenem Erleben, aus der eigenen Karriere erfahren haben! Dieser Zynismus der Herrschenden wird die Beherrschten dazu veranlassen, ihren Respekt zu verlieren.

Zusatz, Berlin, 9. Mai 2019

Viele Zeitgenossen scheinen gar nicht bemerkt zu haben, dass das sogenannte Profiling nach Geschlecht, sexueller Orientierung, Herkunft, Religion o.Ä. gerade jenen Macht verleiht, die diese im Namen von Gleichberechtigung, Gerechtigkeit u.s.w. über andere ausüben. Dass diesen notwendigen und löblichen Postulaten damit äußerst selten gedient ist, liegt auf der Hand. Dass sie zu Instrumenten in den Händen dieser Wohlverteiler werden, die damit auch überall da, wo Stellen ausgeschrieben und Posten verteilt werden, Privilegien einräumen oder sie auch entziehen, ist eine allgemein anerkannte Einsicht. Aber dieser folgt kein adäquates Handeln, zumal man sich doch auf der richtigen Seite sieht. Gleichberechtigung ist aber nur dann möglich, wenn wir ungeachtet unseres Geschlechts, unserer sexuellen Orientierung, unserer Herkunft nach unseren Leistungen beurteilt werden. 
Dies war unter besonders erstarrten patriarchalen Verhältnissen nicht der Fall, als Frauen der Zutritt zu Akademie und Universität versperrt war. Es ist gut, dass diese Zeiten der Vergangenheit angehören, und es ist richtig, dass noch mehr getan werden muss, damit Frauen einen gleichberechtigten Platz in allen Wissenschaften einnehmen. Aber dies darf nicht um den Preis neuer Ungerechtigkeiten geschehen, deren Opfer Frauen und Männer gleichermaßen sind. Ich weiß, dass ich hier von Selbstverständlichkeiten und Banalitäten spreche. Umso schlimmer für die Tatsachen, möchte man mit Ernst Bloch einwerfen. Umso schlimmer, dass wir hier von Banalitäten sprechen, die dem Normalisierungszwang zuwiderlaufen. An diesen Tatsachen wird sich zeit meines Lebens wohl nichts mehr ändern.
Ich habe Jahrzehnte gegen dieses Profiling gekämpft, das meine akademische Laufbahn zerstörte. Ich habe diesen Kampf, wie zu erwarten war, verloren und aufgegeben. Aber ich blicke ohne Zorn auf meine Zeit, die Emanzipation und Gleichberechtigung verhieß, ohne dass ich sie selbst jemals am eigenen Leibe erlebt hätte. Unter diesen Umständen fällt es mir jedoch nicht schwer, mir vorzustellen, wie Frauen einstmals behandelt wurden und z. T. auch heute noch behandelt werden können, wenn sie sich auf eine Professur bewerben. Weiterer Erkenntnisgewinn in unserer Zeit ist jedoch, dass wir nicht mehr Frauen sein müssen, um Missverhältnisse bei Berufungen, DFG-Anträgen zu erfassen. Sicherlich war dies auch weit früher schon der Fall, denn auch unter patriarchalen Bedingungen galt unter Männern nicht die volle Gleichberechtigung. Was war mit jüdischen Wissenschaftlern, die nicht erst durch die Nazis diskriminiert wurden? Und natürlich geht es auch Frauen heute nicht unähnlich, wenn sie es unter vermeintlich frauenfreundlicheren Bedingungen trotz ihrer Leistungen keine berufliche Anerkennung finden. Aber zu keiner Zeit wurde soviel von Chancengleichheit gesprochen wie in der unsrigen. Und zu keiner Zeit wurde soviel geheuchelt wie in der heutigen.
Es wird späteren Generationen, Akademikerinnen und Akademikern, vorbehalten bleiben, diesen Kampf auszufechten und so mehr Chancengleichheit zu erwirken.