Ein Versuch, mir meine Trauer, Resignation und Wut von der Seele zu schreiben, um nicht daran zu zerbrechen

Mittwoch, 24. August 2016

01-2016 Nach langer Zeit ...

Nach langer Zeit bin ich wieder auf meinem Blog gelandet. Die letzten Einträge habe ich im Dezember letzten Jahres vorgenommen. Möglicherweise gibt es Leute, die der Meinung sind, dass ich mich ganz zurückgezogen hätte, wohl gar auch manche, die mich inzwischen für tot halten. Auch wenn ich noch unter den Lebenden weile, habe ich aber doch ein wenig von dem erfahren, was Tod eigentlich noch bedeutet. Der Literaturkritiker Reich-Ranicki meinte einmal kurz vor seinem Ableben auf die Frage eines 'Spiegel'-Reporters, dass Tod für ihn das Ende von Partizipation bedeute, am öffentlichen Leben, am Gespräch mit anderen, an der Lektüre der Gegenwart. Natürlich schließt der physische Tod all dies ein. Aber auch im Leben kann einem Menschen widerfahren, dass er nicht mehr an dem teilzunehmen vermag, was ihm wichtig und notwendig erscheint. Die Schicksale nicht weniger Exilautoren, die sich nicht mehr im Wort an ihr Publikum richten konnten, weil sie in die Emigration geflohen waren, bieten hinlängliche Beispiele für diesen Verlust an Teilnahme.
Ein Privatdozent in Deutschland kann sich freilich nicht mit diesen Biographien messen, über die man heute so spricht, als handelte es sich dabei um eine längst abgeschlossene Vergangenheit. In Vergleich setzen lassen sich seine Befindlichkeiten aber mit jenen, die zum gewaltigen Heer der Privatdozenten und nichtberufenen Wissenschaftler gehören. Die gemeinsame Trennlinie zu ihren Kollegen in gesicherten akademischen Positionen verläuft noch immer zwischen diesem, was man selbst erreicht und jenem, was einem von anderen großherzig gewährt wird. Denn selbst, wenn man alles erreicht, wenn man alle Hindernisse überwindet, die sich dem fahrenden Scholaren in postmodernen Zeiten bieten, ist man noch längst nicht am Ziel. Es besteht immer noch die Notwendigkeit, dass einem die Gunst gewährt wird, in die Riege der bewährten Akademiker aufgenommen zu werden, um so ein auskömmliches Leben im Kreise anderer Akademiker führen zu dürfen.
Dabei handelt es sich, wie wir auf diesem Blog und an anderer Stelle bekundeten, keineswegs um die notwendige Überprüfung von Leistungen. Vielmehr stehen hier Kriterien auf dem Prüfstand, die mit der eigenen wissenschaftlichen Qualifikation ganz und gar nicht mehr zu tun haben. Was die Wähler bei etablierten Parteien am wenigsten schätzen, den Stallgeruch nämlich, wird hier zur unumstößlichen Pflicht und Schuldigkeit. Wer diese nicht erbringt, weil er Wissenschaft umso mehr mit Autonomie, Selbständigkeit und eigenem Denken verbindet, hat an der deutschen Universität wenig zu vermelden. Dies gilt auch für andere gesellschaftliche Bereiche und war schon beim Kaiser so, bei den Nazis erst recht, in der DDR nicht minder, und es ist auch heute in der Berliner Demokratie nicht anders. Dass sich dagegen zunehmender Protest bemerkbar macht, ist nur natürlich. Doch nicht jeder Protest gegen das Establishment verfügt über den Grad an Kultiviertheit, die zu einem menschlich faireren Umgang aufruft. Die Wut kann selbst barbarische Züge annehmen, wie wir aus Viktor Klemperers Tagebuchaufzeichnungen in dunkler Zeit wissen. Es steht zu befürchten, dass sich heute wiederholt, was eigentlich zu den fürchterlichsten Erfahrungen des letzten Jahrhunderts gehört.
Aber kehren wir zu unserem Diskurs zurück, mit dem wir diesen Eintrag begannen. Von meiner bisherigen wissenschaftlichen Arbeit fühle ich mich ausgeschlossen, da man mir nicht einmal eine bezahlte Mittelbautätigkeit an der Hochschule gewährt. In diesem Jahr habe ich meine Tätigkeit als Integrationslehrer aufgenommen, so dass mir kaum noch Zeit bleibt, meine Ideen und Wissen in neuen Publikationen umzusetzen. Viele Anregungen verrotten auf meinem Schreibtisch, und es tritt eben genau dies ein, was ich weiter oben mit dem Tod in Verbindung gebracht habe. Nur dass es sich hier noch nicht um einen physischen, sondern um einen intellektuellen Tod handelt. So steht auch dieser Blogeintrag noch immer im Tagebuch eines Privatdozenten, der nur noch dem Namen nach existiert. Wer ein bestimmtes Alter erreicht hat, ohne dass ihm oder ihr bisher eine Berufung gewährt worden wäre, hat keine Chancen mehr an der deutschen Universität, erst recht, wenn er männlichen Geschlecht ist und einen orientalischen Namen hat. Das faule Getue mit der politischen Korrektheit in der öffentlichen Rede tut sein Übriges, um diese Realitäten zu verschleiern, nach dem Motto, dass nichts passiert oder passieren kann, was nicht von der sprachlichen Ökonomie erfasst wäre.
Ich werde versuchen, auch weiterhin meine Arbeit zu tun. Vielleicht gelingt es mir unter diesen misslichen Umständen, meiner Stimme weiterhin Gehör zu verschaffen. Vielleicht muss ich es aber aufgeben. Versuchen werde ich auch, diesen Blog unter meiner zweiten Domain kianharaldkarimi.com zu platzieren. Besserung gelobe ich meinen Lesern für den Rest dieses Jahres, das Euch/Sie auf dem Laufenden hält. Auch werde ich wohl hier und da meine Gedanken zur gesellschaftlichen Situation unserer Zeit vortragen und auf Rückmeldungen hoffen. Diese Zeit ist zu interessant, aber auch zu spannungsreich, als dass man nur über die eigene Lage klagen dürfte. Denn dies wäre dann wirklich die Ratifizierung des eigenen intellektuellen Todes.