Ein Versuch, mir meine Trauer, Resignation und Wut von der Seele zu schreiben, um nicht daran zu zerbrechen

Sonntag, 31. Dezember 2017

2017-5 Auf ein neues Jahr




Das Jahr ist im Rückblick rasch vorbeigezogen. Wenn ich aber an einzelne Tage oder gar Momente zurückdenke, dann hat es sich wie eine langsame Bahn von Station zu Station vorwärtsgeschraubt, ohne große Einsichten, vielleicht bis auf diese, dass es schwer ist, alte Gewohnheiten aufzugeben und sich in ganz neuen und anderen Lebenslagen zurechtzufinden. Wer diese Entwicklung durchgemacht hat, wird vor allem den Verlust an Freiheit beklagen, der sich mit dem Leben einer Honorarkraft einstellt. Jene Zeitgenossen, die nichts anderes kennen, werden aufgebracht widersprechen und daran erinnern, dass man doch schließlich sein eigener Herr ist, der seine Zeituhr selbst aufzieht und damit seine Arbeitsstunden so gestalten mag, wie er mag. Dies ist zwar richtig, aber der Universitätsbetrieb hat seine Freiheiten, die in nichtakademischen Arbeitszusammenhängen kaum bekannt sein dürften. Nun ist jede Stunde gezählt, weil jede Stunde ihren Termin hat, der zuweilen schwer ausgehandelt werden muss. Und jeder Termin ist nicht nur Lebenszeit, sondern auch Verdienst, um den zu ringen ist. Ich hätte nicht gedacht, dass ich als Angestellter eine solche Kraft gehabt hätte, mich auf diesem Markt so gut zu bewähren, auch wenn ich mir diesen Umstand allein zu verdanken habe. Denn es hat freilich immer zahlreiche Leute gegeben, die mir das Arbeitsleben durch ihre Freundlichkeit und Hilfe so ungemein erleichtert haben.
Dieser tiefe Fall aus den Höhen der Akademikerherrlichkeit vor vier Jahren ließ anfangs Schlimmes befürchten, aber inzwischen habe ich zu meiner alten Sicherheit zurückgefunden. Und vielleicht sind derartige Schicksalsschläge nur Anlass, um noch stärker zu werden. Womöglich ist dies geradezu ein körperlicher Vorgang, der größere Vitalität mit sich bringt, damit wir die um so größeren Herausforderungen auch besser bestehen können. Und die Schwierigkeiten und Enttäuschungen brechen nicht ab. Einen gewissen Halt habe ich an der Humboldt Universität durch meine Lehraufträge erfahren, die zwar nicht bezahlt waren, mir aber von Seiten der Studenten viel Anerkennung eingebracht haben. Inzwischen sollen diese Aufträge aber honoriert werden, was einerseits sicherlich auch absolut gerechtfertigt ist, andererseits aber nun dazu führen wird, dass ich nicht mehr in jedem Semester meine Lehrtätigkeit aufnehmen kann. An den romanischen Seminaren in Berlin spricht man inzwischen von einem Überangebot, das bestehende feste Stellen in ihrem Bestand gefährdet. Lehrbeauftragter bedarf es daher um so weniger, sind sie doch auch eine störende Größe für derlei Berechnungen. Ich hätte mich auch gern weiterhin mit einer unbezahlten Lehrtätigkeit abgefunden, da ich als Privatdozent ohnehin nur ein höchst 'privater' Dozent bin, in dem Sinne nämlich, dass die Hochschule nur noch Ort meines privaten Zeitvertreibs ist. In beruflicher Hinsicht wurde ich buchstäblich aus der Universität verjagt.
Da nicht nur ich eine derartige Situation hinzunehmen habe und zahlreiche respektable Kollegen auf der Straße sitzen, werden sich die Verantwortlichen fragen müssen, ob ihre Entscheidungen gerecht und angemessen waren, ob sie den Interessen unseres Faches entsprachen. Aber diese Fragen pflegen in der sogenannten Gruppenuniversität mit ihren Einzelinteressen ohnehin unterzugehen, was gerade für eine strukturell so fragile Philologie wie die Romanistik von tragischer Tragweite sein dürfte. Dass die sogenannte Bologna-Reform, die sich eher wie eine Art Deformation ausnimmt, ihr Übriges dazu beigetragen hat, um diese Tendenz zu beschleunigen, ist zu einer Alltagsweisheit geworden. Die Faszination der Romanistik beruht auf einem Gesamtzusammenhang, der komparatistisches Herangehen an Sprachen, Literaturen und Kulturen erst möglich und sinnvoll erscheinen lässt. Dass dieses Fach, in seine Einzelphilologien zerfallen, an Attraktivität verloren hat, ist aufgrund zurückgehender Studentenzahlen ebenfalls offensichtlich geworden. Aber das ist eine andere Geschichte, die auch anderswo schon erzählt wurde.