Ein Versuch, mir meine Trauer, Resignation und Wut von der Seele zu schreiben, um nicht daran zu zerbrechen

Mittwoch, 6. September 2017

2017-03 Auferstanden aus der Sprache

Und wieder kehre ich nach langer Zeit zu meinem Blog zurück, der bisher in diesem Jahr erst zwei Einträge verzeichnet. Womöglich haben sich schon zahlreiche meiner Leser von mir verabschiedet, da sie kaum noch Neuigkeiten von meiner Seite erwarten. Aber ich will doch Wort halten und immer wieder neue Notizen hinterlassen. Doch wird dies aufgrund meiner vollständig veränderten Lage nicht mehr so häufig der Fall sein können wie früher, zu meinem Bedauern, denn ich lese und schreibe sehr gern. 
Meine jetzige Lehrtätigkeit als Deutschlehrer auf Honorarbasis hat mein gesamtes Leben radikal verändert. Meine Arbeit als Privatdozent hatte zwar angesichts so zahlreicher Vertretungen immer auch etwas Unstetes. Über Jahrzehnte, zuerst als Assistent in Leipzig, dann als Vertreter von Professuren bin ich durch ganz Deutschland gereist, ohne mich jemals auf ein bestimmtes Institut, auf bestimmte Kollegen konzentrieren zu können. Dem Vagabundieren zwischen Hochschulen wie Leipzig und Bonn, Berlin und Heidelberg, Augsburg und Saarbrücken, Potsdam und Gießen entsprach auch eine intellektuelle Vagabondage zwischen unterschiedlichsten Schwerpunkten in der Romanistik.
  
Unter diesen Umständen hatte ich mich immer wieder mit den Schwerpunkten bzw. Profilen auseinanderzusetzen, die den von mir zu vertretenden Professuren entsprachen. Was ich selbst stets als wohltuend empfunden habe, nicht erst in die Versuchung eines behäbigen Beamtendasein zu geraten und beweglich zu bleiben, hat sich aus der Sicht eines akademischen Establishments womöglich als Defizit erwiesen. Der Wunsch, nicht ein bestimmtes Thema zu kolonisieren, sondern immer wieder neue Bereiche kennenzulernen, wird nicht eben geschätzt. Ebenso wenig konnte man mir womöglich verzeihen, dass ich mich in den letzten Jahren der 'Neuen Romania' zugewandt hatte. 
Aber wer konnte mir dies verübeln, wenn ich nach meinen Studien über eher klassische Themen im 'Finis Africae' ein neues Ziel zu suchte, mit dem ich auch eine nicht zuletzt auch finanzielle Förderung meiner neuen Projekte verband. Immerhin war ich aufgrund meiner fachlich zwar geachteten Habilitationsschrift nicht zum Professor berufen worden. Ich hätte aber von Anfang wissen müssen, dass entsprechende Institutionen nicht nach der tatsächlichen wissenschaftlichen Lebensleistung eines Antragstellers fragen, sondern diese einzig und allein nach dem Maß von Status und Alter berechnen. Die Bewertung eines zur Vorlage gebrachten Projekts beruht nicht auf dessen Sinnhaftigkeit und Qualität, sondern vorzugsweise auf der Frage, wie weit es der Antragssteller in der akademischen Hierarchie gebracht hat. Kommt noch dessen vorgerücktes Alter hinzu, so scheint das 55. Lebensjahr aus dieser engen Sicht wohl überhaupt die Grenze einer ernstzunehmenden akademischen Vita zu markieren. Nur jene, die vormals schon in den wohlverdienten Beamtenstatus berufen worden waren, können auch mit einer größeren Autorität auftreten, auch wenn nicht wenige von ihnen gleichfalls mit ihren Anträgen in Forschungsinstitutionen scheitern, allerdings mit weitaus weniger unangenehmen Konsequenzen für sie selbst.
Man sagt, dass die Zeit Wunden heilt. Dies ist aber wohl nur eine Teilwahrheit. Die zeitliche Distanz zu einem Unglück, einer Niederlage erlaubt es uns nur, die Wunden besser zu ertragen. So würde ich meine Situation beschreiben. Die Lehrtätigkeit als DaF-Lehrer bringt mich mitunter mit interessanten und hochmotivierten Menschen zusammen, die mir diese oft einseitige Arbeit an und mit der Sprache sehr erleichtert haben. Dennoch muss die poetische und literarische Seite der Sprache mit dem Studium der Grammatik eher weit in den Hintergrund rücken. Und auch meine wissenschaftliche Arbeit muss naturgemäß unter diesen Verhältnissen leiden. Ein alter Freund riet mir, meine Projekte auf dem Schreibtisch zu stapeln, um sie dann zu gegebener Zeit wieder in Angriff nehmen zu können. Etwas Anderes wird mir wohl auch kaum übrig bleiben.
Für mich war es stets ein Hobby, eine wissenschaftliche Tätigkeit ausüben zu können. Vielleicht hätte es auch immer ein Hobby für mich bleiben sollen, zumal ich nicht wenige Kollegen kenne, die sich im höheren Altern noch sehnsüchtig daran erinnern, wie sie einstmals begonnen hatten. Einige dieser Kollegen mussten fassungslos mitansehen, wie der Lehrstuhl, den sie womöglich in Jahrzehnten langer Arbeit aufgebautvorzugsweise auf der Frage, wie weit es der Antragssteller in der akademischen Hierarchie gebracht hat. Kommt noch dessen vorgerücktes Alter hinzu, so scheint das 55. Lebensjahr aus dieser engen Sicht wohl überhaupt die Grenze einer ernstzunehmenden akademischen Vita zu markieren. Nur jene, die vormals schon in den wohlverdienten Beamtenstatus berufen worden waren, können auch mit einer größeren Autorität auftreten, auch wenn nicht wenige von ihnen gleichfalls mit ihren Anträgen in Forschungsinstitutionen scheitern, allerdings mit weitaus weniger unangenehmen Konsequenzen für sie selbst.
Man sagt, dass die Zeit Wunden heilt. Dies ist aber wohl nur eine Teilwahrheit. Die zeitliche Distanz zu einem Unglück, einer Niederlage erlaubt es uns nur, die Wunden besser zu ertragen. So würde ich meine Situation beschreiben. Die Lehrtätigkeit als DaF-Lehrer bringt mich mitunter mit interessanten und hochmotivierten Menschen zusammen, die mir diese oft einseitige Arbeit an und mit der Sprache sehr erleichtert haben. Dennoch muss die poetische und literarische Seite der Sprache mit dem Studium der Grammatik eher weit in den Hintergrund rücken. Und auch meine wissenschaftliche Arbeit muss naturgemäß unter diesen Verhältnissen leiden. Ein alter Freund riet mir, meine Projekte auf dem Schreibtisch zu stapeln, um sie dann zu gegebener Zeit wieder in Angriff nehmen zu können. Etwas Anderes wird mir wohl auch kaum übrig bleiben.
Für mich war es stets ein Hobby, eine wissenschaftliche Tätigkeit ausüben zu können. Vielleicht hätte es auch immer ein Hobby für mich bleiben sollen, zumal ich nicht wenige Kollegen kenne, die sich im höheren Altern noch sehnsüchtig daran erinnern, wie sie einstmals begonnen hatten. Einige dieser Kollegen mussten fassungslos mitansehen, wie der Lehrstuhl, den sie womöglich in Jahrzehnten langer Arbeit aufgebaut hatten, nach ihrer Emeritierung gestrichen werden sollte. Andere wiederum waren der langen Kämpfe mit mißgünstigen Neidern überdrüssig und sahen sich mit dem Ende ihrer Dienstzeit buchstäblich aus ihren Seminaren gedrängt. Diese Leidensphasen sind mir glücklicherweise erspart geblieben. Ich wusste immer schon am Anfang einer Vertretung, dass meine Semester gezählt sind. Privatdozent zu sein, heißt, schon früh die eigene Endlichkeit zu erfahren.
Wenn ich jedoch von einem Hobby spreche, dann gewiss nicht, weil ich die akademische Tätigkeit etwa mit Geringschätzung betrachten würde. Vielmehr ist nichts anderes als das Gegenteil denkbar. In bestimmter Hinsicht habe ich mich immer als konservativ empfunden, nicht im ideologischen, sondern eher naiven Sinn. Ich war stets der Meinung, dass wissenschaftliche Erkenntnis und Methode auch Ausdruck einer Lebenshaltung sein sollten. Ich konnte einfach nicht akzeptieren, dass Feminismus, Gender- bzw. Queertheorie oder Philosophie der Postmoderme zu schnöden Geschäftsmodellen degradiert werden. Diese und andere Wissensbereiche haben an einem akademischen Markt Anteile, die im Zuge von Berufungen, Projektbewilligungen, Stellenausschreibungen, SFB (Sonderforschungsbereiche) etc. zu- oder abnehmen. 
Dass Feministen womöglich in ihrem privaten Glück Machoallüren ertragen, die sie in ihrem wissenschaftlichen Diskurs heftig bekämpfen, dass postmoderne Professoren mitunter auch an prämodernen Kategorien und Hierarchien festhsalten, die sie in ihren Vorlesungen zu dekonstruieren wagen, erschien mir unfassbar. Es ist eine Binsenweisheit, dass wir allemal in Widersprüchen leben, die wir auch beim besten Willen nicht aufzulösen imstande sind. Aber wenn der Zusammenhang von Leben und Beruf, Theorie und Praxis einen Sinn haben soll, müsste er sich an dieser Stelle einstellen.
In diesem Sinn ist es mir auch wichtig, die Frage nach der political correctness erneut aufzuwerfen. Es steht für mich überhaupt nicht zur Debatte, dass in öffentlichen Dingen keine persönlichen Beschimpfungen und Denunziationen gestattet sein dürfen. Aber alles, was über diese menschlichen Selbstverständlichkeiten hinausgeht, ist mir zuwider. Wenn sich die Sprache in Euphemismen hüllt bzw. historisch entstandene Begriffe oder Namen durch Worte ersetzt, die dem Stil und den Auffassungen der Zeit entsprechen, halte ich dies für überaus problematisch.
Ein Beispiel: Als ich auf dem Afrikatag in Bayreuth vor einigen Jahren über den antikolonialistischen Roman des Katalanen Albert Sánchez Piñol Pandora al Congo referierte, der an die Zeitstimmung vor und während des Ersten Weltkriegs in Großbritannien erinnerte, musste ich aus historischen Gründen zweimal das Unwort 'Neger' in den Mund nehmen. Auf meinen Vortrag ging fast niemand der Sektionsteilnehmer ein. Der eigentliche Gesprächsgegenstand war dieses Wort, das es doch zu vermeiden gelte. Mein Herz schlägt immer für Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden. Aber ist es nicht spätestens seit Freud eine Binsenweisheit, dass das Gesagte nicht das Gemeinte sein muss, dass die Sprache nicht immer verräterisch sein muss, wie dies gerade an der Praxis der Nationalsozialisten hinlänglich zu belegen wäre? Ist es nicht gerade so, dass das Euphemistische der Barbarei auch immer die himmelschreiend unmenschliche Seite des Unrechts kaschiert. Waren eitle Lügenwörtchen wie 'Lebensraum im Osten', 'Endlösung', 'Sonderbehandlung' oder die hygienischen 'Brausebäder', nicht zu sprechen von Tugenden wie 'Anstand', 'Sauberkeit' nicht gerade die geeigneten Kulissen für den Genozid? Müssten nicht gerade wir Deutschen gelernt haben, dass nicht schöne Worte auch eine schöne Wirklichkeit ergeben? Natürlich wussten die Teilnehmer meiner Sektion, dass ich keine rassistischen Untertöne im Sinn hatte. Aber wie leicht ist es doch, die eigene gute Gesinnung an den vermeintlichen sprachlichen Fehltritten eines anderen unter Beweis zu stellen? Ein historischer Roman wird, sofern er seinen Gegenstand ernst nimmt, stets den Versuch unternehmen, dem Leser in den Spannungsbogen historischer Horizonte einzuführen. Dabei treten die Kategorien und Wertmaßstäbe der eigenen Zeit in eine Spannung mit jener Epoche, die zum Objekt des Erzählens wird. Diese Gegebenheiten wird eine literaturkritische Bestandsaufnahme ebenso zu berücksichtigen haben wie dies ein Restaurator gegenüber den Beschädigungen eines Artefakts unternimmt. Dieser wird das Kunstwerk nicht so zurichten, dass eben diese Spuren verschwinden, so als ob er es neu geschaffen hätte. Vielmehr wird er die schadhaften Stellen so markieren, dass dem Betrachter die Ergebnisse der Restaurierungsarbeiten ersichtlich werden. Hier tritt ihm kein geliftetes, sondern ein in die Jahre gekommenes Kunstwerk vor die Augen.
Die angesprochene Form der political correctness ist daher auch keineswegs 'links' oder korrekt, sofern mit ihr eine bloße moralische Geste der historischen Dialektik ihren Platz streitig macht. Es ist längst bekannt, dass sich die Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner in den 1960er und 1970er Jahren stets als Emanzipation der Neger verstand, wobei 'niger' im Lateinischen nichts anderes als 'schwarz' meint. Es gibt sogar zwei afrikanische Staaten, Nigeria und Niger, die in ihrem Namen auf diese Etymologie anspielen. Die Abgrenzung vollzog sich über Jahrzehnte immer zu jenem verachtenden Unwort, das den Buchstaben G verdoppelt. Was und wer die Veränderung sprachlicher Koordinaten hervorgerufen hat, vermag ich nicht sicher einzuschätzen. Es dürften weiße Diskursteilnehmer gewesen sein, denen mit wachsender Erschütterung offenbar geworden ist, was ihren schwarzen Schwestern und Brüdern über Jahrhunderte angetan worden war und noch immer wird, was denen in ihrem Namen gerade jetzt angetan wird. Diese historische Schuld lässt sich aber nicht durch eine euphemistische Sprache abtragen. Gerade in der Bezeichnung 'negro', 'nègre' - in Abgrenzung zum 'Weißen - offenbart sich diese doch hinlänglich. Tilgen wir den Namen, bringen wir nur unser schlechtes Gewissen zum Schweigen.
Was wir brauchen, ist eine Sprache, welche die Realien bei den Hörnern packt und nicht eine solche, die ihnen davonläuft. Sie muss den Anforderungen eines 'mot juste' Rechnung tragen, das den Menschen, aber auch der Sache und mithin der Geschichte gerecht wird. Wir müssen die Spuren des durch Gewalt verzerrten Dialogs kenntlich machen, anstatt sie mit den Worten einer noch immer nicht gänzlich gelungenen Emanzipation kaschieren zu wollen.